«Ich kann sagen, was ich will und was nicht»
Auch wenn die Freiheit ihre Grenzen hat: Auf ein selbstbestimmtes Leben, in dem wir unseren Alltag so weit wie möglich selber gestalten können, darauf haben wir alle ein Recht. Darum hält der neue «Leitfaden Selbstbestimmung» des Werkheims fest: «Klientinnen und Klienten im Werkheim Uster bestimmen wo immer möglich selber.» Und: «Durch Zutrauen ermöglichen die Fachpersonen den Klientinnen und Klienten, Erfahrungen und auch Fehler zu machen.»
Selbstbestimmung einfordern
Nicht immer ist es im Alltag im Werkheim ganz einfach zu sagen, wann Bewohnerinnen, Bewohner und Mitarbeitende voll und ganz selbst bestimmen und wann Fachpersonen Vorgaben machen sollen – beispielsweise zum Schutz der betroffenen Person oder ihrer Mitbewohnerinnen und Mitbewohner. Aus diesem Grund hat eine Arbeitsgruppe intensiv am neuen Leitfaden Selbstbestimmung gearbeitet. «Es ging uns darum, so weit wie möglich Klarheit zu schaffen und die Haltung des Werkheims festzuhalten», sagt Katrin Roth, Leiterin der Arbeitsgruppe und Fachverantwortliche Agogik. Der Leitfaden besteht aus zwei Teilen. Er soll einerseits Bewohnerinnen, Bewohner und Mitarbeitende dazu ermutigen, Selbstbestimmung einzufordern und sich selbst mehr zuzutrauen. Andererseits soll der Leitfaden den Fachpersonen Orientierung geben.
Der Bewohner oder die Bewohnerin macht mit der Begleitperson ab, wie die Begleitperson ihm oder ihr helfen soll.
Der Leitfaden geht auf einige Themen konkret ein, um die Umsetzung zu erleichtern. Zum Beispiel auf die Ernährung. «Das Thema ist gerade in den Wohngruppen immer wieder aktuell», so Katrin Roth. «Wenn eine Person immer nur Kuchen essen will und nichts Anderes: Sollen die Fachpersonen dann einschreiten?» Solche Fragen wurden in der Arbeitsgruppe, die den Leitfaden erstellt hat, intensiv diskutiert. Darin steht nun: «Jede Person darf selber bestimmen, was sie isst und wie viel sie isst. Das Werkheim will gesundes Essen anbieten. Vielleicht braucht jemand Hilfe bei der gesunden Ernährung. Dann darf diese Person sich Hilfe holen. Der Bewohner oder die Bewohnerin macht mit der Begleitperson ab, wie die Begleitperson ihm oder ihr helfen soll.»
Nicht alle Fragen beantwortet
Erarbeitet wurde der «Leitfaden Selbstbestimmung» von einer inklusiven Arbeitsgruppe. Sie bestand aus sechs Fachpersonen aus verschiedenen Bereichen und Hierarchiestufen und sechs Mitarbeitenden mit Beeinträchtigung aus verschiedenen Betrieben. Auch Roger Brunner war dabei. Er hatte sich freiwillig gemeldet, um in der Gruppe mitzuarbeiten. «Ich lerne gern Neues und treffe gern andere Menschen», sagt Roger Brunner. Er arbeitet im Produktwerk und ist im Moment zufrieden mit der Umsetzung des Leifadens. «Schon vorher konnte ich im Betrieb immer sagen, was ich will und was nicht. Und das mache ich auch», sagt er. Er findet, dank der Arbeit am Leitfaden könne er im Alltag nun noch mehr selbst bestimmen. «Auch beim Essen weiss ich: Ich merke selber, ob ich genug habe oder nicht.»
Wann und wo ist es eine Hilfe, wenn die Fachperson unterstützt und wann eben nicht?
Katrin Roth, Fachverantwortliche Agogik
Katrin Roth betont: «Letztlich kann auch ein Leitfaden nicht jede Frage beantworten.» Viele konkrete Fragen, die sich in einer Situation ergeben, müssen individuell besprochen werden. «Es ist entscheidend, dass Fachpersonen und Mitarbeitende miteinander das Gespräch suchen. Wann und wo ist es eine Hilfe, wenn die Fachperson unterstützt und wann eben nicht?» Entfalten könnten sich die Grundhaltung des Werkheim Uster und der Leitfaden Selbstbestimmung am ehesten in der konkreten Zusammenarbeit. «Wenn das im direkten Kontakt spürbar wird, dann hat diese Arbeit etwas gebracht», sagt Katrin Roth.